Selbstportrait
Selbportrait / 1967 / Öl auf Leinwand / 107 x 60 cm

Das Sehen

Vieles Lesen mache stolz und pedantisch, vieles Sehen dagegen, hat Lichtenberg gesagt, vieles Sehen mache weise, verträglich und nützlich.

Dies ist ein Satz, der auf den Maler Hugo Fritz von Habermann paßt, als gälte er ausschließlich ihm. Für Habermann war das Sehen, Schauen, Wahrnehmen Anreiz und Ziel seines Lebens.

Habermann war ein gierig Schauender, ein immer Neugieriger. So liebte er es, mit dem Auto bei rascher Fahrt nachmittags durch die Gegend zu fahren und dabei seine Augen in ihr spazieren gehen zu lassen. Fernsehen konnte er exzessiv. Er bevorzugte Wildwestfilme, von denen ihn die Handlung nicht im geringsten aber die Landschaften im Hintergrund außerordentlich interessierten. Er verschaffte sich ständig neue Seheindrücke auf seinen regelmäßigen Reisen. Selbst als Soldat nützte er die Zeit wo es irgend anging ganz zum Schauen: Aus dem 1. Weltkrieg bewahrte er Erinnerungen nur an die Großartigkeit der russischen Landschaft, aus dem zweiten an die Freude beim Betrachten der französischen Impressionisten und Kubisten in Pariser Museen.

In München machte er gern Stadt- und Schaufensterbummel nicht um zu kaufen, sondern bloß des Schauens wegen. Einmal sah er in einem Teppichgeschäft einen besonders reizvollen und besonders kostbaren Kelim. An einen Kauf war leider nicht zu denken. Dennoch betrat er den Laden und bat, den Teppich zur Probe mit nach Hause nehmen zu dürfen. In einer langen Nacht verewigte er das schöne Stück in mehreren Bildern. Am nächsten Tag brachte er den Teppich — ganz bedauernder Kunde — zurück.

Habermann nützte aber sein neugieriges und scharfes Auge nicht nur als Maler, sondern auch als Besitzer eines Gutes in seiner unterfränkischen Heimat, für das er sich verantwortlich fühlte. Mit unbestechlichem Blick erkannte er Bausünden, Fehlentwicklungen, Irrtümer, die das charakteristische Bild der Dörfer im Umkreis von Unsleben zerstörten, und stellte sich kritisch gegen alle schädlichen Modernismen lange bevor das Wort Umweltschutz in aller Munde und abgenützt war. Sein Blick war scharf „aus Liebe zur künstlerischen Wahrheit und zur Gestalt dieser Welt" (Müller-Mehlis).

Teppich
Kelim / 1971 / Öl auf Leinwand / 81 x 100 cm

Auch bei seinen Schülern förderte und forderte er die Kunst des genauen und genußvollen Schauens. In Erinnerung an Habermanns Malkurs gerieten seine Schülerinnen noch Jahre später in helle Begeisterung: wie er aus einem alten Koffer allerlei Requisiten auspackte, daraus ein Stilleben aufbaute, ihnen durch seine Hinweise so vollkommen die Augen öffnete für Farbreiz, Form und Licht, daß sie den tristen Schulraum wie verzaubert empfanden und ihren Lehrer, begeistert von erhelltem Sehenkönnen, spaßhaft ihren Magier nannten, der ihnen einen Augenschmaus angerichtet habe.

Selbst berufsmäßigen Augenmenschen mit kritisch-scharfem Blick war es ein Vergnügen, von ihm durch eine Ausstellung geführt zu werden, sich die Augen von ihm öffnen zu lassen und an seiner Hellsichtigkeit teilzunehmen.

Teppich
Frau Grave und Tochter / 1977 / Öl auf Leinwand / 71 x 90 cm

Vielfältig sind die Einflüsse, denen Habermann als Maler ausgesetzt war, und die er bewußt auch gesucht hat. Das macht seine Einordnung in eine stilistische Kategorie schwer. Will man ihn dennoch einer Stilrichtung der Malerei zuordnen, so wird man ihn am ehesten einen Nachimpressionisten nennen können. Konsequent im Laufe seiner künstlerischen Entwicklung ist nämlich wie bei den Impressionisten die visuelle Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit: „Im Laufe meines Lebens kam ich immer mehr zu der Überzeugung, daß die Malerei eine subjektive Gestaltung der wahrgenommenen Umwelt ist und immer an das visuelle Erleben gebunden bleibt. Malerei geht vom Gesehenen aus und wendet sich an das Auge."