Bohème und ihr Ende

Habermanns Wunsch nach Veränderung bezog sich nicht nur auf seine berufliche Fortbildung, sondern umfassender auch auf sein privates Leben.

Er löste 1929 seine wohl etwas übereilte Ehe mit Ruth (aus der 1924 der Sohn Cornelius hervorgegangen war) und verheiratete sich 1930 mit Johanna Rhomberg.

Als „paying guest" hatte Johanna Rhomberg Logis bei Habermanns Mutter in München in der Barerstraße. Die Familie Rhomberg stammt aus Rieden am Staffelsee bei Murnau. Die Rhombergs bewohnen dort das Schloß Rieden. Es liegt eindrucksvoll am Ufer des Staffelsees, umgeben von schöner Parklandschaft. Die Geschwister Rhomberg, Johanna und ihr Bruder Heinrich, und die Geschwister v. Habermann, Hugo und Wilma, trafen sich häufig in München und Rieden zu gemeinsamen Festen. Aus zwei Liebespaaren wurden zwei Ehepaare. Habermann war 31, Johanna 24 Jahre alt, als sie heirateten.

Johanna Rhomberg
Johanna Rhomberg / 1930 / Bleistift

Habermann brach seine Zelte nicht nur an der Münchner Akademie ab, er kehrte München überhaupt den Rücken. Das junge Paar zog 1930 nach Berlin. Hier findet Habermann für die folgenden zehn Jahre eine Bohème.

Man erobert sich die Hauptstadt kulturellen und gesellschaftlichen Lebens rasch. Jung und verliebt bequemt man sich leicht den knappen finanziellen Mitteln entsprechend in enge Ateliers, die häufig gewechselt werden. Das gutaussehende Paar— Habermann als eine elegante, große, schlanke Erscheinung, seine Frau eine interessante Schönheit — waren gerngesehene Gäste auf den großen Festen der Berliner Gesellschaft.

Johanna Habermann
Johanna Freifrau von Habermann / 1935/ Öl auf Leinwand /53 x 66 cm

Mehr aber als das gesellschaftliche Leben Berlins interessierte Habermann das seiner Straßen, Häuser, Parks. Er durchstreifte die Stadt neugierig und immer zeichnend. Er suchte das Typische und Atmosphärische. Besonders reizten ihn Fluß- und Schiffsmotive. Er malte einen Zyklus von Berlinbildern.

Berlin
Berlin / 1932/ Aquarell

Die Arbeiten leben von zeichnerisch, plastisch-räumlichen Qualitäten. Die Farbigkeit ist tonig und bevorzugt den Hell-Dunkel-Kontrast. Insofern sind die frühen Berliner Bilder noch sehr den Bildern der Studienzeit verwandt. Aber allmählich wird die Tendenz zur Farbaufhellung und Umrißlockerung sichtbar. Das Realistische weicht dem atmosphärisch Impressionistischen. In Berlin fühlt sich Habermann wie befreit und endlich auf dem vorbestimmten Weg als Maler. Seine Frau war ihm eine verständnisvolle und anregende Partnerin. Und schließlich entsprach die Virulenz der deutschen Hauptstadt Berlin ganz seinem vitalen Wesen. Berlin stimulierte ihn.

„München war abgesackt, Provinz. Berlin dagegen international und viel interessanter, wenn man Lebendigkeit haben wollte".

Berlin
Berlin / 1932/ Aquarell

Habermann erfüllt sich jetzt auch seinen Wunsch, ins Ausland zu reisen. Es zieht ihn zunächst nach Italien, nach Sizilien. Er sucht das Licht des Südens und seine leichte, heitere Lebensart. Die Freude daran wird ihm sein ganzes Leben lang bleiben. Im Winter 1933/1934 verbringt er mit seiner Frau einige Monate in Paris. Man wohnt in einem kleinen Hotel am Montparnass. Die Habermanns lernen Französisch bei einem privaten Sprachlehrer, der ihnen auch die Stadt Paris und weitere Kontakte erschließt. Habermanns aufgeschlossene, charmante Art machen ihm hier wie überall leicht Freunde. Vor allem aber nützt Habermann seinen Aufenthalt in Paris zum Studium der Impressionisten und Kubisten.

Habermann besucht in Paris keine Malschule, weil man da „meist nur die Kunstsprache von gestern lernen kann", sondern diskutiert mit Malerkollegen, besucht sie in ihren Ateliers, lernt unmittelbar und vor Ort. Besonders aber studiert er in Museen. Er schaut, zeichnet, lernt. Er ist fasziniert von dem, was er hier an neuen Bildideen zum ersten Mal und im Original kennenlernt.

Französisches Restaurant
Französisches Restaurant / 1934/ Guache / 40 x 60 cm

Angefüllt mit neuen Anregungen kehrt er nach Berlin zurück. Aber es ist nicht Habermanns Art, rasch und unreflektiert Neues zu übernehmen. Er ist ein gründlicher Arbeiter. Er setzt sich auseinander, er macht sich bewußt, er beschäftigt seinen Verstand mit dem, was sein Gefühl als Maler bewegt hat. Er experimentiert vorsichtig klug und ganz eigenständig. Das wesentlich Neue, das er im synthetischen Kubismus von Braque und Picasso erkannt hat, ist die Übersetzung der räumlich-plastischen Realität in eine flächige Bildwirklichkeit.

Figur
Figur / 1957 / Öl auf Leinwand / 81 x 70 cm

An dieser Stelle kann auf einen Zwiespalt in Habermanns Wesen aufmerksam gemacht werden, der sich durch sein ganzes Leben zieht und in seinem gesamten Werk ablesbar ist. Es ist die polare Spannung zwischen scharfem Intellekt und dem „weichen Licht" der Intuition.

Den Lehr- und Lieblingssatz seines Onkels: „Das Gefühl kommt zuletzt!" übernimmt er als Maxime. So ist ihm kühler Verstand und Klarheit, Transparenz und Ordnung ein Bedürfnis. Daraus erklärt sich sein strenges Wahrheitsbedürfnis, seine Aufdeckung und Ablehnung jeden Scheins und jeder Schaumschlägerei; daraus erklärt sich seine Arbeitsdisziplin; erklärt sich sein Verantwortungsgefühl gegen die Familie, seinen Grundbesitz, die Umwelt; erklärt sich auch sein unbestechlicher Blick auf die Arbeit seiner Kollegen.

In der strengen Konstruktion und Intellektualität des Kubismus glaubte Habermann eine bildnerische Ausdrucksmöglichkeit für sein intellektuelles Bedürfnis zu finden. Er unterzog sich dessen Konstruktionsregeln und Reproduktion bis er merkte, daß ein anderer wichtiger Teil seines Wesens und vor allem seines malerischen Talents dabei in die Enge gerät. So tut er nach der wiederholten Auseinandersetzung mit der kubistischen Bildsprache schließlich die Äußerung, aus der spontaner, fast kindlicher Unmut spricht: „Der Kubismus läßt sich farbig nicht lösen". Er fühlt, daß die Reduktion auf wenige Farben seine malerischen Fähigkeiten allzusehr einschränkt und die Konstruktion seiner unverkrampften, persönlichen Gelassenheit widerspricht. Der Kubismus in seiner radikalen Einseitigkeit kann sein Harmoniebedürfnis zwischen Welt und Bild nicht befriedigen. Aus diesem Spannungsverhältnis von Verstand und visueller Sinnlichkeit ergibt sich der Reiz, die Vielfalt und die Kraft von Habermanns Werk.

Rhön-Tisch mit Vase
Rhön-Tisch mit Vase / 1958 / Öl auf Leinwand / 48 x 69 cm

Das Leben pendelt sich während der dreißiger Jahre in einem festen Rhythmus ein. Habermann verbringt den Herbst und Winter in Berlin, das Frühjahr auf Reisen in Italien und Jugoslawien, den Sommer in Unsleben.

Im September 1935 wird Habermanns erste Tochter Elisabeth in Würzburg geboren; 1937 die zweite Tochter Henriette. Nach Kriegsbeginn 1939 kehrt Habermann vom Sommeraufenthalt in Unsleben wegen der unsicheren Verhältnisse allein nach Berlin zurück. Frau und Töchter ziehen nach Rieden in Oberbayern zur Familie Rhomberg.

1940 wird Habermann eingezogen. Er hat dabei Glück. Sein Wunsch, in Paris eingesetzt zu werden, geht in Erfüllung. Er ist Unteroffizier bei der Beschaffungstruppe. Er hat mit Verwaltungs- und Organisationsangelegenheiten zu tun. Seine Orts- und Sprachkenntnisse sind ihm nützlich. Die Alliierten nehmen 1944 Paris ein. Kurz vorher war Habermanns Einheit nach Landshut verlegt worden. Von hier aus führen ihn Aufträge gelegentlich über Murnau und Rieden.

Obwohl Habermann als Soldat mit dem Krieg nicht unmittelbar in Berührung gekommen war, haben ihn doch seine fünf Dienstjahre vom Eigentlichen, dem Malen, abgehalten.

Elisabeth und Henriette
Elisabeth und Henriette / 1949 / Öl auf Leinwand / 53 x 85 cm